EGL058 The Zone of Interest Teil 1: Der Holocaust und die Täter
In diesem ersten Teil zu "The Zone of Interest" sprechen wir erstmal nicht über den 2023 erschienen Film von Jonathan Glazer. Wir wollen einige Themen als Vorbereitung vertiefen, um den Film im zweiten Teil besser einordnen zu können. Wir steigen mit dem Themenstrang Holocaust ein, wobei Flo einen persönlichen Zugang wählt: wann waren wir erstmals mit diesem dunklen Kapitel der Geschichte konfrontiert? Wann haben wir zum ersten Mal eine Ahnung von der Monstrosität des Holocaust bekommen? Während wir uns über unsere persönlichen und familiären Geschichten austauschen, laufen wir durch das Denkmal für die ermordeten Juden und kommen an der Hannah-Arendt-Straße auf die Banalität des Bösen zu sprechen. Wie konnte so etwas Schreckliches passieren? Flo erzählt Szenen aus dem Film "Shoah" von Claude Lanzman, der 1985 erschien. Der Film ist ein einzigartiges Zeitdokument, in dem Augenzeugen des Holocaust ihre Geschichten und Erfahrungen berichten. Lanzman hat dabei konsequent auf historisches Material verzichtet und stellt in seinen Interviews mit Opfern und auch Tätern immer wieder scharfe Nachfragen, um ein präzises Bild von den Massenmorden in den Konzentrationslagern zu bekommen. Der Film fasst über 11 Jahre Arbeit auf 9 Stunden zusammen und entwickelt so eine Collage an persönlichen Geschichten, die eine Ahnung über die Ausmaße der Shoah vermitteln kann. Im zweiten Themenstrang vertiefen wir uns weiter in historische Filmwerke über den Holocaust, über Filme direkt nach dem Krieg wie "Die Mörder sind unter uns", über Produktionen aus den 60ern und 70ern bis zu "Schindlers Liste" von 1993. Dabei gehen wir der Frage nach, wie sich das Täterbild verändert hat und besprechen die Inszenierungen des Undarstellbaren. Für die 2000er stellen wir fest, dass uns Filme über die Täter wie "Der Untergang" nicht so interessieren, dafür aber Produktionen wie "Das Leben ist schön" und "Inglourious Basterds" stark emotionalisieren. Flo möchte noch einen weiteren Bogen aufspannen, um für "The Zone of Interest" die Figur Rudolf Höß besser verstehen zu können. Der Dokumentarfilm "The Act of Killing" von 2011 porträtiert eine Gruppe von Tätern in Indonesien, die an dem Massaker an kommunistischen und chinesischen Einwohner 1965-1966 nach einem Militärputsch beteiligt waren. Der Film zeigt die Täter von damals wie sie heute in einem inszenierten Reenactment die Rollen von Opfern und Tätern nachspielen ohne dabei eine Spur von Reue zu entwickeln. Micz vertieft dieses Thema mit der Frage, ob es aus psychologischer Sicht eine Tätertraumatisierung gibt. Auch hier zeigt sich ein Bedeutungswandel von der Einstellung, dass Täter nicht traumatisiert werden können hin zu neueren Annahmen, dass ein traumatisierendes Ereignis bei den Beteiligten eine Persönlichkeitsveränderung bis -störung auslösen kann. Mit diesem dichten Themenstrauß beenden wir die 1. Folge auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof am Grab von Bertold Brecht. Mit dieser Folge haben wir unsere thematischen Vorbereitungen abgeschlossen, um mit der nächsten Folge in den Film "The Zone of Interest" von Jonathan Glazer einsteigen zu können. Wir machen gleich weiter mit der Aufnahme, aber fürs erste sollte das erstmal reichen
Shownotes
- Links zur Laufstrecke
- EGL058 | Wanderung | Komoot
- Denkmal für die ermordeten Juden Europas – Wikipedia
- Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden – Wikipedia
- Links zur Episode
- Holocaust – Wikipedia
- Holocaust (Begriff) – Wikipedia
- The Zone of Interest (Film) – Wikipedia
- Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V.
- Yad Vashem – Internationale Holocaust Gedenkstätte |
- Lea Rosh – Wikipedia
- Es könnte einer sagen.. - das Brandenburger Tor in der Mahnmaldebatte
- Aktion Reinhardt – Wikipedia
- Wannseekonferenz – Wikipedia
- Endlösung der Judenfrage
- Vernichtungslager Belzec – Wikipedia
- Vernichtungslager Treblinka – Wikipedia
- KZ Auschwitz-Birkenau – Wikipedia
- Auschwitzprozesse – Wikipedia
- Carolin Emcke – Wikipedia
- Streitraum: »Gewalt und Film«
- Shoah (Film) – Wikipedia
- Claude Lanzmann – Wikipedia
- Shoah 1985 | Part 1 [ENGLISH SUBTITLES]
- Shoah 1985 | Part 2 [ENGLISH SUBTITLES]
- Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen – Wikipedia
- KZ Oranienburg – Wikipedia
- Casablanca (Film) – Wikipedia
- Die Mörder sind unter uns – Wikipedia
- NS-Täter im Spielfilm - kinofenster.de
- Nackt unter Wölfen (1963) – Wikipedia
- Eichmann-Prozess – Wikipedia
- Hannah Arendt – Wikipedia
- Auschwitzprozesse – Wikipedia
- Raul Hilberg – Wikipedia
- Die Vernichtung der europäischen Juden – Wikipedia
- Peter Weiss – Wikipedia
- Die Ermittlung – Wikipedia
- Der Nachtportier – Wikipedia
- Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss – Wikipedia
- Schindlers Liste – Wikipedia
- Das Leben ist schön (1997) – Wikipedia
- Der Untergang – Wikipedia
- Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler – Wikipedia
- Inglourious Basterds – Wikipedia
- The Act of Killing – Wikipedia
- Reenactment – Wikipedia
- Massaker in Indonesien 1965–1966 – Wikipedia
- Kriegsenkel leiden unter Folgen des Zweiten Weltkriegs - Politik - SZ.de
- The Look of Silence – Wikipedia
- The Silence – Schaubühne
- ICD-10 – Wikipedia
- APA PsycNet
- Posttraumatische Belastungsstörung | Belastungsbezogene Störungen in der ICD-11 | springermedizin.de
- ICD-11 – Wikipedia
Transcript
Der Holocaust: Systematischer Völkermord und seine grausame Umsetzung
Der Holocaust stellt zweifelsohne eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Menschheit dar. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 in Deutschland begann die systematische Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden sowie anderer Minderheiten. Die anfängliche Diskriminierung und Entrechtung mündete in einem industrialisierten Massenmord von unvorstellbarem Ausmaß.
Die Nationalsozialisten etablierten ein System von Konzentrationslagern, welches anfänglich zur Inhaftierung politischer Gegner diente, sich jedoch rasch zu einem Netzwerk von Vernichtungslagern ausweitete. Das erste offizielle Lager war Dachau, welches im März 1933 eröffnet wurde. Im Laufe der Zeit wurden die Lager zu Orten der systematischen Verfolgung und Vernichtung verschiedener Gruppen, insbesondere der jüdischen Bevölkerung Europas.
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939 und insbesondere nach der Wannsee-Konferenz im Jahr 1942, bei der die Umsetzung der „Endlösung der Judenfrage“ besprochen wurde, erreichte die Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten industrielle Ausmaße. In Vernichtungslagern wie Auschwitz-Birkenau wurden Gaskammern und Krematorien errichtet, um den Massenmord möglichst effizient durchzuführen. Die Deportation der Opfer erfolgte mittels Zügen, wobei bei der Ankunft eine Selektion durchgeführt wurde, um zu bestimmen, wer unmittelbar in die Gaskammern geschickt und wer zur Zwangsarbeit eingesetzt wurde.
Die Nationalsozialisten bedienten sich einer Reihe von Euphemismen, um die Öffentlichkeit sowie die Betroffenen selbst über die wahren Umstände der Deportationen und Massenmorde zu täuschen. Dazu wurden Begriffe wie „Umsiedlung“, „Sonderbehandlung“ oder „Arbeitseinsatz im Osten“ verwendet, um die tatsächliche Natur der Ereignisse zu verschleiern. Diese sprachliche Manipulation diente nicht nur der Täuschung der Opfer und der Öffentlichkeit, sondern half auch den Tätern, eine emotionale Distanz zu ihren Handlungen aufzubauen.
In den nationalsozialistischen Vernichtungslagern wurden jüdische Häftlinge, die sogenannten Sonderkommandos, gezwungen, bei der grausamen Arbeit der Leichenbeseitigung zu helfen. Ihre Aufgabe bestand darin, die Körper aus den Gaskammern zu entfernen und zu den Krematorien zu transportieren. Die Asche der Verbrannten wurde in Flüsse gekippt, als Dünger auf Feldern verstreut oder zur Auffüllung von Geländesenken verwendet – ein letzter Akt der Entmenschlichung der Opfer.
Die Einrichtung von „Interessengebieten“ um die Lager herum veranschaulicht zudem die Effizienz und den bürokratischen Charakter des Holocaust. Diese Zonen fungierten als Pufferzonen, erleichterten die Expansion der Lager und trugen zur Geheimhaltung der Vorgänge bei. Die lokale Bevölkerung wurde zwangsweise umgesiedelt, um die erforderlichen Flächen für die neuen Gebiete zu schaffen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung der Konzentrationslager durch die Alliierten wurde das volle Ausmaß des Holocaust offenbar. Die Zahl der ermordeten Menschen beläuft sich auf Millionen, darunter sechs Millionen Juden. Die Überlebenden tragen bis heute physische und psychische Narben davon. Die Aufarbeitung des Holocaust, die Verfolgung der Täter und die Erinnerung an die Opfer sind bis heute wichtige Themen in Deutschland und weltweit. Der Holocaust steht als mahnendes Beispiel dafür, wozu Menschen fähig sind und wie wichtig es ist, gegen Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz einzustehen.
Zwischen Dämonisierung und Differenzierung: Der Wandel des Nazi-Bildes in der Filmgeschichte
Die filmische Darstellung der Nationalsozialisten und des Holocausts hat sich im Laufe der Zeit signifikant gewandelt. In den frühen 1940er Jahren, als der Zweite Weltkrieg noch andauerte, wurden Nationalsozialisten in Filmen wie „Casablanca“ (1942) häufig als eindimensional bösartige Antagonisten dargestellt. Diese Filme hatten in erster Linie den Zweck, Propaganda zu betreiben, und zeigten die Nationalsozialisten als klar identifizierbare Feinde, ohne jedoch tiefere Einblicke in ihre Psyche oder Motivation zu geben.
In der Folge des Krieges begann eine Phase der Aufarbeitung. Erstmals wurde in Filmen wie „Die Mörder sind unter uns“ (1946) die Schuld und Verantwortung der Täter sowie die Schwierigkeit der Nachkriegsgesellschaft, mit dieser Vergangenheit umzugehen, thematisiert. In den 1960er und 1970er Jahren erfolgte eine zunehmend direkte und kritische Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Das Bühnenstück „Die Ermittlung“ von Peter Weiss aus dem Jahr 1965 sowie Filme wie „Der Nachtportier“ aus dem Jahr 1974 thematisieren die psychologischen Nachwirkungen des Holocaust sowie die komplexen Beziehungen zwischen Tätern und Opfern.
Als Wendepunkt in der medialen Aufarbeitung des Holocausts kann die US-amerikanische Miniserie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ (1978) bezeichnet werden. Die Serie führte dazu, dass das Thema einem breiten Publikum bekannt wurde und insbesondere in Deutschland zu intensiven Diskussionen führte. In den 1990er Jahren folgten Filme wie „Schindlers Liste“ (1993) und „Das Leben ist schön“ (1997), die den Holocaust auf sehr unterschiedliche Weise darstellten. Dabei unterschieden sie sich in der Art der Darstellung erheblich voneinander. Während „Schindlers Liste“ den Holocaust mit schonungslosem Realismus zeigte, vermischte „Das Leben ist schön“ Tragik und Humor.
In den 2000er Jahren manifestierte sich eine Fortsetzung des in den 1990er Jahren einsetzenden Trends zu einer differenzierteren Darstellung der Nationalsozialisten. Der Film „Der Untergang“ (2004) thematisierte die letzten Tage Hitlers und seiner engsten Vertrauten im Führerbunker und löste Kontroversen aus, da er die nationalsozialistischen Täter nicht als unnahbare Monster, sondern als Menschen mit Schwächen darstellte. In Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ (2009) wird eine alternative Geschichtsversion präsentiert, in der jüdische Rächer die Führung der Nationalsozialisten auslöschen.
In jüngerer Zeit haben Filmemacher begonnen, neue Perspektiven auf das Thema zu erforschen. Ein Beispiel für die Erweiterung des Untersuchungsgegenstands über den Holocaust hinaus ist der Film „The Act of Killing“ (2011). Dieser befasste sich nicht mit dem Holocaust, sondern mit dem Völkermord in Indonesien. Dabei wurden innovative Methoden eingesetzt, um die Psychologie der Täter zu ergründen. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass die filmische Auseinandersetzung mit Genozid und Täterschaft über den spezifischen Kontext des Holocausts hinaus an Bedeutung gewonnen hat und weiterhin neue Wege findet, diese schwierigen Themen zu behandeln und zu reflektieren.
Tätertraumatisierung: Die oft übersehene Seite der PTBS
Der Begriff der Tätertraumatisierung, auch als „perpetration-induced traumatic stress“ (PITS) bekannt, beschreibt das Auftreten von Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bei Personen, die selbst Täter von Gewalt oder anderen traumatisierenden Handlungen waren. Die Forschung zum Thema PTBS hat sich über einen langen Zeitraum hinweg hauptsächlich mit der Opferperspektive befasst, wobei die möglichen psychologischen Folgen für die Täter weitgehend außer Acht gelassen wurden. Die Geschichte der PTBS-Forschung lässt sich bis in die Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs zurückverfolgen. Im Verlauf ihrer Entwicklung durchlief sie verschiedene Phasen der Fehlinterpretation, bis sie schließlich im Zweiten Weltkrieg als psychologisches Phänomen erkannt wurde. Der Vietnamkrieg markierte schließlich den Durchbruch zur offiziellen Anerkennung der PTBS als psychische Störung im DSM-III im Jahr 1980.
Trotz dieser Fortschritte blieb die Vorstellung vorherrschend, dass PTBS hauptsächlich durch das Erleben von Trauma als Opfer verursacht wird. Die Möglichkeit, dass das aktive Ausüben von Gewalt, insbesondere das Töten im Kampf, ebenfalls traumatisierend sein könnte, wurde über einen langen Zeitraum kaum berücksichtigt.
Several studies of different wars show that throughout history, only 15-25% of soldiers have worked against the natural inclination against killing. Vietnam was different because the U.S. military was aware of this problem and solved it by better training. Bull’s-eye targets don’t commonly fly around battlefields, so they used more realistic human-shaped targets that went down when they were hit.
https://perpetrationtrauma.org/
Die zunehmende Anerkennung der Tätertraumatisierung findet ihren Niederschlag in neueren Ausgaben des DSM. So wird in DSM-5 explizit anerkannt, dass für Militärangehörige das Verüben von Gewalttaten, das Bezeugen von Gräueltaten oder das Töten des Feindes zu den Faktoren gehören, die eine PTBS auslösen können. Diese Entwicklung verdeutlicht die Notwendigkeit, ein umfassenderes Verständnis von Trauma zu entwickeln, welches sowohl die Perspektive der Opfer als auch die der Täter berücksichtigt.
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