EGL065 Reform der Psychotherapie-Weiterbildung: Symptomverschiebung und Spaltung
Mit der Einführung der neuen Weiterbildungsordnung (WBO) im Jahr 2020 wurde ein Reformvorhaben angestoßen, das die Weiterbildung in Deutschland an veränderte Versorgungsbedarfe anpassen und zugleich die Qualität und Einheitlichkeit der Ausbildung verbessern soll. Doch war und ist die Finanzierung nicht geklärt. Das hat einen besonders dramatischen Einfluss auf den Bereich der Psychotherapie. Zu wenige Ausbildungsstätten beantragen die Befugnis nach der neuen Weiterbildungsordnung, um Psychotherapeut:innen auszubilden. Dies liegt vor allem daran, dass die entstehenden Kosten sich für Institute nicht rechnen. Die neue Regelung orientiert sich an der ärztlichen Ausbildung in Kliniken, die ärztliche Kandidat:innen in Weiterbildung mit einem tarifgebundenen Gehalt anstellen und entsprechenden Behandlungsräume versorgen können. Das lässt sich auf die psychologischen Psychotherapeut:innen nicht so einfach ummünzen. Diese nach Tarif anzustellen und individuelle Behandlungsräume anzumieten ist nach der WBO die Vorgabe (und sicherlich eine großartige Idee), aber Institute sind anders aufgestellt als Kliniken und können das nicht finanzieren. Somit ist die Finanzierungslücke nicht gelöst, sondern verschoben. Wir sprechen in der Psychotherapie von einer Symptomverschiebung. Während wir im Prenzlauer Berg Park beim Laufen reden und laufend reden, reflektieren wir die Hintergründe und möglichen Folgen der neuen WBO.
Shownotes
- Link/s zur Laufstrecke
- EGL065 | Wanderung | Komoot
- Links zur Episode
- Gleichstellung von Psychologischen mit ärztlichen Psychotherapeuten durch zwei Sozialgerichtsurteile bestätigt | Psychotherapeutenkammer Berlin
- Bund, Länder und Kommunen | 24 x Deutschland | bpb.de
- 2019: Deutscher Bundestag - Bundestag reformiert die Ausbildung der Psychotherapeuten
- Die neue Weiterbildung von Psychotherapeut*innen: Grundlagen, Chancen und Herausforderungen. In: 2/2023 Psychotherapeutenjournal
- Dokumente und Regelungen der Weiterbildung, die nach dem Psychotherapeutengesetz vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1604), das zuletzt durch Artikel 17 des Gesetzes vom 19. Mai 2020 (BGBl. I S. 1018) | Psychotherapeutenkammer Berlin
- Neue Weiterbildungsordnung von 2021 | Ärztekammer Berlin
- LdN402 Psychotherapeut:innen-Nachwuchs in der Warteschleife, Waffenlieferungen an Israel, Kürzungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (Stefan Niggemeier, Übermedien), Russlands Krieg gegen Deutschland, Klimaschutz durch neue StVO, Social Leasing von E-Autos, Rechtsextremismus an Schulen, Feedback Dänemarks Migrationspolitik – Lage der Nation
- Volkspark Prenzlauer Berg
- Das gespaltene Subjekt nach Lacan
Transcript
Der höchste Hügel im Volkspark Prenzlauer Berg ist nicht, wie von mir behauptet, 92 m hoch, sondern „an seiner höchsten Stelle (genannt: ‚Pappelplateau‘) 90,9 m ü. NHN[1] hoch“ — weiß Wikipedia. Schlimmer noch: der Hügel auf dem ich das sagte „heißt zwar ‚Hohes Plateau‘ und auf einer steinernen Markierung steht, er sei ‚die höchste Erhebung in Prenzlauer Berg‘, was aber ungenau ist. Denn nach Vermessungen in den 1990er Jahren ist er nur 89 m hoch“. So ist das mit den Fakten, wenn man beim Laufen redet. Wir geben uns aber große Mühe.
In dieser Episode geht es um die neue Weiterbildungsordnung (WBO), eingeführt 2020, und speziell die Auswirkungen auf die Weiterbildung für die ambulante Psychotherapie. Ziel der WBO sei es, die Qualität der Weiterbildung zu erhöhen und die Vereinheitlichung zwischen ärztlicher und psychologischer Ausbildung zu fördern. Doch die Umsetzung bringt für Psychotherapeut:innen in Weiterbildung (PiW) erhebliche Herausforderungen mit sich, die sich bei den ärztlichen und psychologischen Ausbildungswegen teils deutlich unterscheiden.
Insofern sind wir im Volkspark Prenzlauer Berg an einem passenden Ort, dessen beide Hügel vielleicht ja für die betroffenen Psycholog:innen und Ärzt:innen stehen könnten. Oder für die Psychodynamik des gespaltenen Subjekts nach Lacan, der eine Hügel gepflegt und begehbar, der andere verwildert und … naja, eben das hier: der Andere in uns.
Symptomverschiebung: Finanzierungslücke nicht gelöst nur verschoben
Die Weiterbildung zur ambulanten Psychotherapie ist besonders für psychologische PiW mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Im Gegensatz zu angestellten ärztlichen Weiterbildungsassistent:innen können die Praxen und Institute für die Psycholog:innen die Kosten für eine tarifgebundene Anstellung nicht tragen. Diese Realität untergräbt ein Ziel der neuen WBO: die Ausbildung psychologischer Psychotherapeut:innen war teuer und die gesetzlich notwendige Tätigkeit in Psychiatrischen und therapeutischen Institutionen wurde früher oft nur symbolisch entlohnt. Es handelte sich also um eine kostspielige und prekäre Ausbildung.
Dies sollte im Sinne der werdenden Psychotherapeut:innen durch die Festanstellung gelöst werden. Doch in der Praxis verschiebt sich die Finanzierungslücke nur. Praxen und Institute können die Kosten nicht stemmen. Wo soll das Geld herkommen? Früher, nach der alten WBO, konnten die PiAs (Psychotherapeut:innen in Ausbildung) auf eine bessere Zukunft hoffen und die aufgenommen Kredite waren eine Form von unternehmerischen Risiko. Diese mögliche Zukunft gibt es für Institute nicht. Die Weiterbildungsinstitute können kein unternehmerisches Risiko aufnehmen, weil sie auch in der Zukunft keine zusätzlichen Einnahmen haben werden. Was bleibt ist die Unterdeckung für jede:n Kandidat:in.
Entsteht eine Kluft zwischen ärztlicher und psychologischer Weiterbildung?
Nach der neuen Weiterbildungsordnung (WBO) könnten sich die Strukturen von psychologischen und ärztlichen Weiterbildungen weiter voneinander entfernen, was auf verschiedene rechtliche, organisatorische und berufspolitische Unterschiede zurückzuführen ist. Obwohl psychologische Psychotherapeut:innen und Fachärzt:innen für Psychiatrie und Psychotherapie formal gleichgestellt sind, bestehen Unterschiede, die eine vollständige Angleichung in der Praxis erschweren.
Spaltung: die Wege der Psycholog:innen und Ärzt:innen trennen sich
Die neue WBO ist noch ganz frisch und wird langsam ausgerollt. Aber es zeigt sich, dass die Weiterbildung strukturell eine Trennung von psychologischen Psychotherapeut:innen und Ärzt:innen bewirken könnte. Obwohl psychologische Psychotherapeut:innen und Fachärzt:innen für Psychiatrie und Psychotherapie formal gleichgestellt sind, bestehen Unterschiede, die eine vollständige Angleichung in der Praxis erschweren.
Institutionelle Trennung: Psychologische Weiterbildungen werden primär von universitären oder freien Ausbildungsinstituten organisiert, während die ärztliche Weiterbildung in Kliniken, Ambulanzen und teilweise in Lehrpraxen erfolgt. Diese institutionelle Trennung könnte durch die neue WBO zementiert werden, da die jeweiligen Organisationen für ihre Berufsgruppen spezifische Anforderungen und Curricula entwickeln.
Ambulante Weiterbildung: Ärztliche Weiterbildungsassistent:innen für Psychotherapie absolvieren ambulante Weiterbildungsanteile nach der neuen WBO zwingend in Praxen unter Supervision von Fachärzt:innen. Psychologische PiW hingegen sind meist auf psychotherapeutische Ambulanzen oder spezielle Ausbildungsinstitute angewiesen. Dieser Unterschied spiegelt die getrennten Versorgungsstrukturen wider.
Die neue WBO hat also das Potenzial, die Schere zwischen psychologischen und ärztlichen Weiterbildungsstrukturen zu vergrößern. Trotz formaler Gleichstellung bleiben Unterschiede in der Kompetenzverteilung und den Versorgungsstrukturen bestehen. Eine stärkere Integration – etwa durch gemeinsame Weiterbildungsmodelle oder abgestimmte ambulante Ausbildungsstrukturen – könnte langfristig die Trennung abbauen.
Mit diesen Gedanken verlassen wir die beiden Hügel im Park und beenden diese Episode im nahegelegenen Fennpfuhlpark. Es ist dunkel geworden.
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