EGL004 First Cow von Kelly Reichhardt: Über Anti-Western und Kolonialgeschichte
Wir starten heute unsere Wanderung mitten im Herzen von Berlin - am Potsdamer Platz. Von dort bewegen wir uns fast nur im Grünen bis zum Tempelhofer Feld. Flo stellt in dieser Episode den Film "First Cow" der US-amerikanischen Drehbuchautorin und Regisseurin Kelly Reichardt vor. Reichardt erzählt in ihrer eigenen sehr zärtlich-ästhetischen Art die Beziehung zweier Männer im Wilden Westen. Der Anti-Western entstand 2019 und wir sprechen in dieser Episode ausführlich über das Genre "Western", die Kolonialisierung des Wilden Westens und den Begriff "Frontier". Micz versucht mehrfach herauszubekommen, warum Flo sich diesen Film ausgesucht hat, bis wir schließlich mit etwas Zivilisationskritik und Gedanken zur Schlachthof Optimierung mitten auf dem Tempelhofer Feld enden.
Shownotes
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Transcript
In dieser Episode möchte Flo mit dem Film „First Cow“ die Bedingungen der Kolonialisierung im äußersten Westen von Nordamerika reflektieren. US-amerikanische Drehbuchautorin und Regisseurin Kelly Reichardt schafft mit ihrem Figurenensemble eine menschliche Nähe, die uns die harten Umstände der damaligen Zeit etwas näherbringen können. Der Film zeigt, welche Form der Brutalität ein wirtschaftliches System auf zwischenmenschliche Beziehungen ausüben kann: Die beiden Protagonisten King Lu und Cookie melken heimlich die einzige Kuh im Umfeld eines provisorischen Handelsknoten.
Cookies Kochkunst und Lus cleveres Geschäftstalent entlocken diesem Diebstahl kurzfristig etwas Geld … bevor der Show-Down beginnt.
Die Geschichte arbeitet mit klassischen Westernmotiven, kann aber wegen ihres unkonventionellen Erzählstils dem Genre des Anti-Western zugeordnet werden. Wir steigen in dieser Episode etwas tiefer in die filmgeschichtlichen Auswüchse des Westerns ein und debattieren was das mit der „Frontier“ Bewegung zu tun hat.
Der Wilde Westen endet mit dem Bau der Eisenbahn. Damit wird auch die Ausbeutung der Ressourcen auf einem neuen Level industrialisiert, die amerikanische Urbevölkerung immer weiter ausgelöscht und in Reservate gedrängt. Getrieben durch den weltweiten Handel im 19. Jahrhundert gipfeln die monströsen Auswüchsen des Kapitalismus in Bilder wie z.B. das Bild von dem Berg aus Hunderttausenden Büffelschädeln auf dessen Spitze sich ein Mann in destruktivem Stolz suhlt.
Wir sind erschüttert. Wie konnte das passieren? Wir versuchen uns in Erklärungen und landen auf dem Feld der Dystopien. Wir suchen etwas Hoffnungen mit dem Film „Cow“ von Andrea Arnold, der uns mit einer sehr einfühlsamen Kameraarbeit die Erlebniswelt einer einzelnen Kuh nahebringt. Die Kuh, die bisher als Bild für die industrielle Nahrungsmittelproduktion, der Milch- und Fleischwirtschaft herhalten muss, wird in diesem Film zu einer individuellen Darstellerin mit einer komplexen Gefühlswelt. Doch bringt diese Einfühlsamkeit wieder etwas wirtschaftlichen Vorteil, wie sich in den Optimierungen der Schlachtbetriebe in letzter Zeit zeigt. Wir stehen etwas ratlos mitten auf dem Tempelhofer Feld.
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