EGL037 Der Gedankenstrich: Wo sich Grammatik, Schriftsatz, Poesie und Design ‚Gute Nacht‘ sagen
Der Gedankenstrich ist ein heimlicher Riese mit unheimlicher Wirkmacht im Text, die unsichtbare Nuance, die alles verändert. Als Stilmittel kann er Gedanken einrahmen, Spannung erzeugen, Schweigen ausdrücken, eine Kehrtwende einleiten, Dialoge strukturieren und -- Pausen erzeugen. In der Welt der Schriftgestaltung versteckt sich der Gedankenstrich als stiller -- wir sind ja *eigentlich* ein Filmpodcast -- Regisseur und ich möchte ihm eine Episode widmen.
Shownotes
Transcript
In dieser Episode versuchen wir einen profanen, aber einflussreichen Vertreter der Zunft der Interpunktion vorzustellen, den — hier ist er schon doppelt — Gedankenstrich. Wir werden über Typografie sprechen — und damit an die letzte Folge anknüpfen –, aber auch über Grammatik, Design und als Stilmittel, also seine poetische Magie ansprechen.
Schriftsatz und das Halbgeviert
Der Gedankenstrich, auch bekannt als der Halbgeviertstrich, ist in der Welt der Typografie ein wahres Mysterium. Doch warum gerade „Halbgeviert“? Die Antwort führt uns in die Tiefen der Druckhistorie. Das „Geviert“ ist ein Begriff aus der Zeit des Bleisatzes und bezeichnet ein Quadrat — eine Form, die den Buchstaben gleicht. Der Halbgeviertstrich hat die Dicke eines halben Quadrats, also eines Halbgevierts. Diese archaische Bezeichnung hat sich bis heute gehalten. So erweist sich die Welt der Typografie nicht nur als kunstvoll, sondern auch als eine Zeitreise in die Vergangenheit, die uns mit faszinierenden Geschichten wie dieser überrascht.
Poesie und — Spannung
Der einfache waagerechte Strich, dessen berühmteste — und berüchtigste — Erscheinungsform sich in der Marquise von O. befindet, wo er wohl eindeutig als Verstummungszeichen leer und empfängnisbereit (!) steht, wo also der Autor etwas verschweigen will und den Leser zum Weiterdenken animieren möchte, hat aber noch andere Funktionen, die es auch mit dem „Abbruch der Rede“ zu tun haben, die zwar einen Wink an den Leser bedeuten, jedoch nicht im Sinne eines „Gedankenmangels“. Daß der Gedankenstrich etwas thematisiert, ohne es sprachlich auszudrücken, steht außer Frage. Der erhobene Zeigefinger markiert einen Bruch im Ablauf der Rede und führt einen Inhalt ein, der somit einen Sonderstatus einnimmt.
Dalmas, Martine. Gedankenstriche: Zum Streichen oder Unterstreichen? Wozu Gedankenstriche?.
In: Cahiers d’Études Germaniques, numéro 27, 1994, S. 56.
Interpunktion und Grammatik
Martine Dalmas, die wir schon oben zitiert haben, beschreibt die Diskussion um den Gedankenstrich so schön in ihrem Artikel „Gedankenstriche: Zum Streichen oder Unterstreichen? Wozu Gedankenstriche?“ von 1994, dass ich das einfach so –, sie wissen schon, einfach mal —
Obwohl er ein relativ spätes Mittel der Interpunktion ist, dessen allzu häufiger Gebrauch bzw. Mißbrauch schnell verpönt war (vgl. Braun 1775), was seine Sonderstellung noch mehr verstärkt, wird der Gedankenstrich schon in älteren Abhandlungen erwähnt: Braun (1775) und Adelung (1788) verweisen auf seine englische Herkunft; letzterer versucht eine Unterscheidung der Verwendungen und kritisiert den verschwenderischen Umgang mit diesem Zeichen. Selbst Werther, der aus seiner Abneigung keinen Hehl machte, verwendet ihn über 200 Mal! Auch die vermeintlich „unüberschaubare Mannigfaltigkeit“ dieses Zeichens, das „das Sprachlose“ hinzufügen soll, hat manchen Kritiker zu dem m.E. falschen Schluß geführt, daß hier „die Phantasie des Lesers tätig werden muß“ (J. Stenzei 1966, zitiert nach Garbe 1983 : 255).
Dalmas, Martine. Gedankenstriche: Zum Streichen oder Unterstreichen? Wozu Gedankenstriche?.
In: Cahiers d’Études Germaniques, numéro 27, 1994, S. 56.
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