EGL069 Roadmovies II: Zabriskie Point
Wir setzen unsere Reihe über Roadmovies fort und Flo präsentiert "Zabriskie Point" von Michelangelo Antonioni aus dem Jahr 1970. Doch zunächst erinnern wir uns an die grundlegenden Merkmale von Roadmovies, die wir auch in der letzten Episode behandelt haben: die episodische Erzählweise, die zahlreichen Stationen, die oft motorisierte Fortbewegung und vor allem die innere und äußere Reise der Figuren. Der Film "Zabriskie Point" erfüllt diese Merkmale und kann gleichzeitig als Teil der New-Hollywood-Bewegung gesehen werden. Flo betont, dass Antonionis Werk nicht nur ästhetisch beeindruckend ist, sondern auch eine komplexe politische Botschaft transportiert, die im Kontext der amerikanischen Gesellschaft der 1970er Jahre verankert ist. Als Vertreter der italienischen Nouvelle Vague entwickelt Antonioni in diesem Werk seine kontemplative Filmsprache weiter. Bereits Anfang der 1960er Jahre verwendet Antonioni in einer Trilogie über die Missstände der Moderne das Konzept der "Temps mort": Momente im Film, in denen scheinbar "nichts passiert", die Kamera nach dem Abgang der Figuren verweilt und leere Bildräume ohne narrative Funktion eingefangen werden. Mit diesen Mitteln ästhetisiert er die zwischenmenschlichen Entfremdungen der Bourgeoisie. "Zabriskie Point" beginnt mit einer aufgeregten Studentenversammlung, in der die Themen Rassismus, Identität und Widerstand unter den Aktivisten diskutiert werden. Mark, der Protagonist, wird aus dieser politischen Konfrontation in eine persönliche Reise gedrängt, die ihn schließlich mit dem Flugzeug in die Weiten der Wüste führt. Daria, eine weitere Hauptfigur, symbolisiert die Suche nach Freiheit in einem kapitalistischen System. Die beiden Figuren treffen sich am Zabriskie Point und gehen in der Wüste eine tiefe geistige und körperliche Verbindung ein. In spielerischer Leichtigkeit, getragen vor allem von seinen Hauptfiguren, zeigt Antonioni mit ästhetischer Wucht den Aufbruch einer neuen Generation gegen das Establishment. Am "totesten" Punkt der Erde, in der Wüste des Death Valley, entwickelt sich aus der Liebesgeschichte zwischen Daria und Mark eine explosive Kraft, die den territorialen Schlund des Kapitalismus sprengt. Der politische Widerstand wird als ästhetische Revolte gelebt. Ganz getragen von dieser explosiven Kraft des Films sind wir an der Ostkrone angekommen und sprechen am Rande der Autobahn A113 über Fossilismus und Petromaskulinität. Micz fragt sich, ob das Ende des Verbrennungsmotors auch das Ende des Genres Roadmovie bedeutet. Flo kann dem nicht ganz zustimmen, denn für ihn steht das Roadmovie vor allem für die Reise der Charaktere. Unter der Autobahnbrücke gegenüber von Holz-Possling endet auch unsere Episode mit dem Kommentar von Micz, dass er sich wohl den Film „vermaledeiterweise“ erst nach unserer Episode anschauen wird.
Shownotes
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- PDF-Download: The Art Cinema as a Mode of Film Practice
- Antonioni: „Zabriskie Point“ und die Kritik der Zeit - FIRSTonline
- Filmzentrale Rezension 1 (archive.org) Zabriskie Point
- Filmzentrale Rezension 2 (archive.org) Zabriskie Point
- Filmzentrale Rezension 3 (archive.org) Zabriskie Point
- Medien Kunst Netz | Kunst und Kinematografie | Wüsten des Politischen
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Transcript
In Antonionis Œuvre manifestiert sich eine cineastische Exploration der Implikationen von Isolation und der persistenten Diskrepanz zwischen Mensch, Gesellschaft und Raum. Seine Werke thematisieren existenzielle Leere, Kommunikationslosigkeit und das psychologische Vakuum des modernen Menschen, ohne dabei auf laute Konflikte oder dramatische Höhepunkte zurückzugreifen. Stattdessen setzt er auf stille, langsame Szenen, die durch seine charakteristische Technik des Temps mort eingefangen werden. Obwohl in diesen narrativen Pausen scheinbar „nichts“ geschieht, beladen sie den Film mit Atmosphäre und symbolischer Kraft. Durch diese Bildgestaltung erhebt Antonioni Architektur, Landschaften oder leere Räume zu eigentlichen Protagonisten seiner Filme. Moderne Gebäude und karge, unberührte Orte werden zu Spiegeln der emotionalen Isolation seiner Figuren. Nicht selten verweilt die Kamera nach einer Handlungsszene noch einige Zeit auf einem leeren Raum, als würden die zurückgelassenen Orte die Bedeutung der Figuren weitertragen. In Il Deserto Rosso (1964) ist es die farblich verfremdete Industrielandschaft, die die psychische Zerrüttung der Protagonistin reflektiert, während in Blow-Up die brüchige Grenze zwischen Wahrnehmung und Realität erkundet wird, wobei das urbane London zur Bühne für innere Konflikte wird. Diese Motive finden auch Eingang in Zabriskie Point. Anstatt sich jedoch der europäisch-modernen Gesellschaft zuzuwenden, fokussiert sich Antonioni in diesem Fall auf Amerika – ein Land voller Kontraste zwischen Konsumrausch und Protestbewegungen, Freiheit und Repression, urbaner Hochtechnologie und scheinbar endlosen Wüstenlandschaften.
Das 1970 erschienene Werk „Zabriskie Point“ erfüllt die wesentliche Merkmale des Roadmovies: Die Reise bildet den zentralen Fokus, die Handlung entfaltet sich episodenhaft vorwiegend in der Weite der Landschaft und elementare Themen wie Flucht und die Suche nach Freiheit finden Ausdruck. Die Protagonisten Mark (gespielt vom Laien-Schauspieler Mark Frechette) und Daria (Daria Halprin) führen den Zuschauer auf parallelen Geschichten durch das Kalifornien der späten 1960er-Jahre. Der Film beginnt inmitten der Studentenbewegung: In einer lebhaften Diskussion an einer kalifornischen Universität, in der sogar Black-Panther-Mitglied Kathleen Cleaver eine Rolle innehat, werden Proteststrategien gegen das Establishment erörtert. Mark, der bereits desillusioniert ist, verlässt frustriert die Versammlung. Er ist gewillt zu kämpfen, jedoch nicht gewillt, die ideologische Leere zu tolerieren. In der Folge flieht er vor der Polizei, nachdem bei einer Demonstration ein Polizist erschossen wurde, und nimmt sich spontan ein Flugzeug, um in die Wüste zu entkommen. Daria verfolgt derweil einen gänzlich anderen Weg. Sie ist für einen Immobilienentwickler tätig, der skrupellos agiert und dessen nächstes Projekt die Ausbeutung der Wohlhabenden in der Wüste sein wird. Auf ihrer Fahrt durch die Mojave-Wüste gerät sie in surreale Begegnungen: Sie trifft auf verwahrloste Kinder, die von einem gescheiterten Meditations-Guru zurückgelassen wurden, und hält schließlich am mythologischen Zabriskie Point, wo sich die Schicksale von Mark und Daria kreuzen.
In Antonionis Werk nimmt die Wüste eine besondere Stellung ein. Der gewaltige Raum des Death Valleys steht in einem Gegensatz zur hektischen, kapitalistisch durchdrungenen Welt der Städte. In dieser Abgeschiedenheit können Mark und Daria dem Lärm der Zivilisation entkommen und für einen Moment die Freiheit des absoluten Ortes erfahren. In der legendären Liebesszene in der Wüste vereinen sich die beiden Protagonisten im Sand, und plötzlich erscheinen zahllose weitere Paare, die sich zu einer halluzinatorischen Massenorgie inmitten der weiten, zeitlosen Landschaft verbinden. Die Verschmelzung von Sand, Körpern und Himmel in dieser Sequenz symbolisiert die Sehnsucht nach kollektiver, utopischer Freiheit.
Die finale Explosionssequenz stellt Antonionis radikalste Kritik am Kapitalismus dar. Als Daria in der palastartigen Wüstenvilla ihres Arbeitgebers ankommt – komplett mit einem grotesk in der Wüste platzierten Swimmingpool – erreicht ihre Desillusionierung ihren Höhepunkt. In ihrer Imagination zerstört sie das Gebäude in einer atemberaubenden Explosion, die in exquisiter Zeitlupe gezeigt wird. Diese Sequenz stellt einen unvergesslichen Angriff auf die Symbole des Konsumismus dar, indem sie Fernseher, Bücher, Kleider- und Kühlschränke mit sämtlichen Inhalten durch die Luft katapultiert und in operatischer Schönheit zerbersten lässt. Antonioni lässt den Zuschauer an der Vernichtung des modernen Überflusses zu ergötzen.
Als „Zabriskie Point“ erschien, wurde er in den USA vernichtend kritisiert, als anti-amerikanisch und zu abstrakt abgetan. Mit dem Abstand der Jahrzehnte ist seine subversive Kraft jedoch deutlicher geworden und resoniert mit zeitgenössischer Kritik an Kapitalismus, ökologischer Zerstörung und sozialer Ungleichheit.In einer Ära des Klimawandels und globaler Proteste gegen systemische Ungerechtigkeit wirken die Themen des 50 Jahare alten Films geradezu prophetisch. Antonionis Vision der Wüste – als Ort des Widerstands und der Wiedergeburt – bietet eine kraftvolle Metapher für gesellschaftliche Erneuerung. Darias imaginierte Explosion wird nicht nur zur Ablehnung, sondern auch zu einem Akt der Hoffnung: dass aus den Trümmern etwas Besseres entstehen könnte. Michelangelo Antonionis „Zabriskie Point“ kann als ein Zeugnis für die andauernde Kraft des Kinos gesehen werden, als ein Werkzeug für Kritik und Selbstreflexion.
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