EGL055 Lems Solaris ermöglicht eine Annäherung an das Reale bei Lacan. Soderberghs Film von 2002 nicht.
Im letzten Teil unserer Solaris-Trilogie, stellt Micz Steven Soderberghs Film "Solaris" (2002) vor. Die Geschichte ist nur grob gesehen die gleiche. Im Gegensatz zu Stanisław Lems Roman, der sich stärker auf die wissenschaftlichen und philosophischen Aspekte der Erforschung des Planeten konzentriert, legt Soderberghs Film einen besonderen Schwerpunkt auf die emotionale Beziehung zwischen Kelvin und seiner verstorbenen Frau Rheya, die als Erscheinung auf der Station auftaucht. Und stilistisch unterscheidet sich Soderberghs Kammerspiel stark von Andrei Tarkowskis poetisch-opulenter und symbolträchtiger Version von 1972. Doch kommt Micz zu dem Schluss, dass Soderberghs Interpretation eine intensivere persönliche und emotionale Dimension versucht und gleichzeitig daran scheitert. Interessant ist lediglich, dass Kelvins Frau Rheya als Person präsenter ist und schließlich sogar ihre Erinnerungen als Szenen in der Rückblende auf "ihre" Zeit auf der Erde zu sehen sind, in der nur sie anwesend ist. Ganz so als ob die projektive Identifikation Kelvins ihr Erinnerungen erschaffen hat, die Solaris nicht aus seinen Erfahrungen hat nehmen können. Psychodynamisch eine interessante Überlegung, allein: der Film bringt es nicht.
Shownotes
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- Solaris - Eine vergleichende Analyse der Verfilmungen von Andrei Tarkowski (1972) und Steven Soderbergh (2002)
- RZ012 Sigmund Jähn | Raumzeit
- Joseph Kosuth: One and Three Chairs (1965)
- And death shall have no dominion
- SOLARIS (2002) - Official Movie Trailer
- Solaris 2002 auf IMDB
- The Thing from Inner Space by Slavoj Zizek, 1999
- Solaris (2002) movie script
Transcript
Micz möchte „seine“ Episode unseres Dreiteilers zu Solaris nutzen, um den gleichnamigen Planeten in Stanisław Lems gleichnamigen Buch „Solaris“ mit dem „Realen“ in der psychoanalytischen Theorie von Jacques Lacan zu alignen.
Joseph Kosuth: „One and Three Chairs“ (1965)
Der Weg dorthin führt über die Arbeit des Künstlers Joseph Kosuth „One and Three Chairs“ aus dem Jahr 1965, mit deren Hilfe zwei der drei zentralen Konzepte Lacans – des Imaginären, Symbolischen und Realen – gut reflektiert werden können. In Joseph Kosuths Arbeit „One and Three Chairs“ sind drei verschiedene Darstellungen eines Stuhls zu sehen, die zusammen die konzeptuelle Natur von Kunst und Sprache untersuchen. Ein physischer, dreidimensionaler, „echter“ Stuhl (nicht zu verwechseln mit Lacans „Realem“, s.u.) ist ein gewöhnliches Alltagsobjekt, das direkt vor dem Betrachter steht. Eine zweidimensionale, schwarz-weiße Fotografie des Stuhls zeigt den aufgestellten Stuhl aus einer bestimmten Perspektive und bietet eine visuelle Repräsentation des Objekts. Als drittes sehen wir an der Wand eine Texttafel mit der Definition des Wortes „Stuhl“ aus einem Wörterbuch. Die Definition erklärt in sprachlicher Form, was ein Stuhl (wie der in der Arbeit als Objekt und Fotografie anwesende) ist.
Das Imaginäre bei Lacan bezieht sich auf die Welt der Bilder und Vorstellungen, die unser Selbstbild und unsere Wahrnehmung der Realität formen. Die Fotografie des Stuhls in Kosuths Arbeit stammt aus dieser Welt.
Das Symbolische bezieht sich auf die Welt der Sprache, Zeichen und sozialen Strukturen. Es ist die Ordnung, die unsere Wahrnehmung durch Regeln und Bedeutungen formt. Die Definition des Wortes „Stuhl“ lässt sich mit dem Symbolischen alginen. Die Definition das sprachliche Symbol für das Objekt ist, eine strukturierte Bedeutungen des Begriffs „Stuhl“.
Naheliegend wäre den dreidimensionalen Stuhl als das „Reale“ zu sehen. Da ist er ja, der Stuhl. Doch genau das Gegenteil ist der Fall…
Lacans Konzept des „Realen“ und Lems „Solaris“
Das „Reale“ bei Lacan bezeichnet das, was außerhalb der symbolischen Ordnung liegt und sich der vollständigen Erfassung durch Sprache und Bedeutungsstrukturen entzieht. Es ist das Unfassbare und Unvorstellbare, das jenseits unserer bewussten Wahrnehmung und kognitiven Strukturierung existiert. Das Reale bricht oft als traumatisches oder störendes Element in die symbolische und imaginäre Ordnung ein, was die Grenzen unseres Verständnisses und unserer Kontrolle offenbart.
Wer aufmerksam die anderen beiden „Solaris“-Folgen gehört hat, weiß: Stanisław Lem wollte mit dem Buch „Solaris“ etwas darstellen, das uns Menschen so fremd ist, dass es (mit den Worten des Realen bei Lacan) unfassbar, unvorstellbar, jenseits unserer bewussten Wahrnehmung und kognitiven Strukturierung liegt. Und im gleichen Zug wollte der Autor das „Menschliche“ darstellen, das versucht sich immer wieder in allen Ecken und Enden des Universums zu spiegeln und zu finden.
Weitere Parallelen zwischen Lems Planeten und Lacans Realem, die sich aus der Geschichte herleiten lassen, sind nach Micz:
Unzugänglichkeit
Der Planet Solaris wird von einem ozeanischen Wesen bedeckt, dessen Natur und Absichten unverständlich und unergründlich für die Menschen sind. Die Forscher auf der Raumstation sind nicht in der Lage, Solaris‘ Geheimnisse vollständig zu entschlüsseln oder eine klare Kommunikation mit ihm herzustellen. Das Reale bei Lacan ist ein Bereich der menschlichen Erfahrung, der jenseits der symbolischen Ordnung (Sprache, gesellschaftliche Normen) und des Imaginären (Bilder, Vorstellungen) liegt. Es ist das, was sich dem Verständnis und der Symbolisierung entzieht und daher als unzugänglich und unergründlich gilt.
Konfrontation mit dem Unbewussten
Der Ozean von Solaris materialisiert die tiefsten Ängste, Schuldgefühle und unerfüllten Wünsche der Forscher, indem er physischen Gestalten dieser inneren Konflikte schafft. Diese „Gäste“ konfrontieren die Menschen mit ihrem eigenen Unbewussten. Das Reale bei Lacan konfrontiert das Subjekt mit Aspekten seines eigenen Unbewussten, die nicht in die symbolische Ordnung integriert sind. Es kann traumatische Erlebnisse und verdrängte Inhalte umfassen, die plötzlich und oft schockierend ins Bewusstsein dringen.
Grenzen der Sprache
Die Forscher auf Solaris stoßen immer wieder an die Grenzen ihres Wissens und ihrer Sprache. Sie können das Wesen von Solaris nicht adäquat beschreiben oder kategorisieren. Dies zeigt die Begrenztheit menschlicher Erkenntnis und Sprache angesichts eines radikal Anderen. Das Reale bei Lacan ist das, was außerhalb der Grenzen von Sprache und Wissen liegt. Es kann nicht vollständig in symbolische Begriffe gefasst werden, sondern bleibt immer ein Exzess, der nicht vollständig erfasst oder verstanden werden kann.
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